11. März 2016 – Interview auf Erris FM
#3 Über die Seedbank
In unserem Interview auf Erris FM stellte uns Edith Geraghty viele spannende Fragen: wie Doris vor 33 Jahren nach Doohoma kam, um hier zu bleiben (Teil #1), wie Anja wegen Granatapfelbäumen nach Irland kam und die Idee mit der „Seedbank of Love & Stories“ hatte (Teil #2) – und wie wir das Projekt begonnen und realisiert haben, wie der Geschichtenaustausch funktioniert und was für Pläne wir für die Zukunft der „Seedbank“ haben (Teil #3).
Das ganze Interview kann man sich auf englisch hier anhören (29:50 min) – schönen Dank an Erris FM für das file!
Hier die deutsche Übersetzung, also den Teil #3, in dem es dann wirklich um die Seedbank geht
(und wer das ganze Interview lesen möchte, findet das hier Interview auf Erris FM – über uns und die Seedbank )
#3 Die „Seedbank of Love & Stories“
Die „Seedbank of Love & Stories“ ist ein Ort an dem man Geschichten tauschen kann. Sie macht das Postamt von Doohoma sichtbar und mit ihm die Menschen, die hier leben und die Menschen, die ihre Geschichte beisteuern und sie hier gegen eine andere eintauschen.
Edith: Willkommen zurück hier bei Erris FM auf 90.8. … Heute abend, Freitag, den 11. März zwischen 18 und 20 Uhr, habe wir eine Eröffnungsveranstaltung hier im Postamt von Doohoma, Ballina. Sie eröffnen die „Seedbank of love & stories“ und wir haben das große Glück hier im Studio die Künstlerin Anja Uhlig zu haben, sowie Doris Affeldt mit der sie zusammen an diesem Projekt arbeitet. Also Anja, erzähl uns, was ist die „Seedbank of Love & Stories“?
Anja: Die „Seedbank of Love & Stories“ ist ein Ort, an dem man Geschichten tauschen kann. Das Projekt macht den Raum des Postamts sichtbar. Also es macht das Postamt selber sichtbar, und mit ihm die Menschen, die hier leben und die Menschen, die eine ihrer Geschichte beisteuern bzw. ihre Geschichte hier gegen die eines anderen Menschen eintauschen.
Edith: Also, als Du hierher kamst und die Post betreten und den Raum gesehen hast, war das der Moment, daß Du angefangen über sowas nachzudenken?
Anja: Nein, es war komisch, denn wie ich schon vorher erzählt habe, kann mein Gehirn manchmal nicht so gut denken, wenn ich in Irland bin, ich dachte also nichts. Ich kam zufällig in die Post, weil mich eine Freundin gebeten hatte, ihr eine Postkarte aus Irland zu schicken und deshalb kam ich in die Post. Doris brachte mich her, und als ich reinkam, fühlte ich mich sofort in eine andere Welt versetzt. Ich sah die Post und traf auf Ann, die dort arbeitete, und ich sah den Vorraum der Post, in dem früher ein Geschäft war, und ich sah, daß das Geschäft nicht mehr so viel zu tun hat, weil die Leute jetzt alle ein Auto haben und irgendwohin zum Einkaufen fahren. Das war so mein Gefühl, und ich kaufte eine dieser Postkarten, die da wohl schon etwas länger standen, für meine Freundin und ich kaufte einige auch für mich, weil ich sie absolut toll finde.
Es ist halt einer dieser Orte, wo man was spürt, aber Du weißt nicht genau was. Ja, es gibt einige solcher Orte hier, wo man sich etwas überwältigt fühlt. Und auch etwas komisch, so als Fremder, es ist halt anders. Aber als ich dann zurück nach München kam …. ah nein, vorher passierte noch was: I traf in Galway eine Künstlerin, die mir etwas über Geschichten erzählte. Sie hatte ein Projekt gemacht, bei dem sie Geschichten gegen Marmelade getauscht hatte. Und so wurde mir bewußt, daß Geschichten in Irland so wichtig sind.
Edith: Absolut.
Anja: Und als ich dann zurück nach Deutschland kam und das Flugzeug in München landete, da war mein Gehirn wieder da …
Edith: … und tickte wieder …
Anja: … und ich dachte, dieser Ort ist wirklich ein Austauschort für Geschichten, und man könnte ihn als solchen sichtbar machen. Ich mochte den Raum. Und ich schrieb das Konzept und fragte Doris, ob sie sich vorstellen könnte, daß man sowas realisieren könnte, und sie sagte ja.
Edith: So Doris, da hast Du diese wundervolle Idee vorgesetzt bekommen – was passierte dann?
Doris: Ja, als Anja damit ankam, da hat es sich wirklich spannend und ziemlich verrückt angefühlt.
Edith: Immer das Markenzeichen eines guten Künstlers, „ziemlich verrückt“.
Doris: ziemlich verrückt, ja, und dann haben wir mit Ann gesprochen.
Edith: Ja, Ann Heston ist die Eigentümerin und Betreiberin des Postamts von Doohoma. Die Geschichte der Familie Heston hier in Doohoma ist lang, klar. Viele, viele Generationen …
Doris: … und so,ja, letztendlich hat sie sich für die Idee erwärmt und inzwischen ist sie richtig begeistert davon. Sie war eine Riesen Hilfe dabei, alles zusammenzubringen.
Edith: … und ihr Sohn Joseph, ihr habt auch ihm extra für seine ganze Hilfe gedankt.
Doris: Ja
Und wie funktioniert das mit dem Geschichten Tauschen?
Edith: Ok, aber jetzt erzähl mir, wie funktioniert das? Habt ihr Taubenlöcher hier in der Wand oder wie geht es?
Doris: Anja, magst Du das beantworten?
Anja: Ich will’s versuchen. Es ist vielleicht auf den ersten Blick etwas komisch, aber ich mag es mit dem zu arbeiten, was schon da ist.
Edith: Okay
Anja: Und deshalb war ich total glücklich, daß wir wirklich mit dem Raum arbeiten durften und vollkommen frei waren, das zu tun, was richtig erschien. Da waren die alten Regale, die haben wir erstmal weiß gestrichen. ich habe versucht, sie alle zu verwenden. Und dann haben wir die den teil des Raumes hinter dem Thresen gestrichen und das ist jetzt der Teil, in dem die „Seedbank“ ist, und dort sind 144 Gläser, in die dann die Geschichten reinkommen.
Edith: Einmachgläser oder sowas ähnliches?
Doris: ja, genau
Anja: Und sie sind numeriert und mit dem Logo der „Dú Thuama Seedbank“ bedruckt, sie sind echt schön, und wenn jemand mit seiner oder ihrer Geschichte kommt, dann kann man ein Glas auswählen, uns seine eigene Geschichte hineintun und die Geschichte bekommen, die vorher drin ist. Und man ist dann auch der erste, der diese Geschichte liest, na außer demjenigen natürlich, der sie hineingetan hat.
Edith: Okay, also, es funktinioniert so, daß ich wenn ich …, warte, wenn du „Geschichte“ sagst, kann es eine lange Geschichte sein, oder eine kurze, oder vielleicht eine kurze Mitteilung über etwas Bedeutsames in deinem Leben, etwas das zu dir singt, zu dir spricht?
Anja: Es geht um die kleinen Geschichten, so alltägliche Geschichten, die geschehen, und irgendwie wichtig sind für dich.
Edith: So wie wenn Du als Kind mit Deiner Mutter zum Baden gegangen bist, oder sowas in der Art, ok. Also Du schreibst das auf, kommst her, öffnest das Glas, nimmst die Geschichte, die drin ist und tust deine hinein. Und was machst du mit der Geschichte, die du rausgenommen hast? Liest du sie?
Anja: Du bittest Ann, das alles zu machen … Und sie macht dann auch eine Kopie der Geschichte, die du mitnimmst. Die archivieren die dann in unserem Ordner, und da kann sie dann auch jeder lesen, also jeder, der eben hier vorbeikommt..
Edith: Und du nimmst dann die Original Geschichte mit. Es ist deine, also das, was Du mitnimmst vom Projekt, und jemand anders wird deine Geschichte mitnehmen, und sie behalten als das, was er mitnimmt vom Projekt.
Anja: Ja, und auf diese Weise kannst man auch sicher sein, daß jede Geschichte irgendwann einmal gelesen wird.
Edith: Und ihr behaltet das Archiv, damit man alle Geschichten lesen kann, die ausgetauscht wurden. Es klingt außergewöhnlich – und was für ein historisches Archiv wird das sein in der Zukunft, wißt ihr, weil, ich bin sicher, so viele Erinnerungen, so viele Geschichten! Ok, und wo habt ihr die ersten Geschichten her, um das Projekt zu starten?
Anja: Oh, das ist echte eine gute Frage. Die haben wir uns auch gestellt. Zum Glück wurde ich eingeladen, das Projekt schon bei zwei Gelegenheiten im Januar und Februar zu präsentieren. Und dabei habe ich schon ungefähr 25 Geschichte gesammelt. Und Joseph, Ann und Doris haben auch schon Geschichten beibesteuert und so haben wir zur Eröffnung ungefährt 30 Geschichten, die schon echt getauscht werden können.
Edith: Sozusagen als die Samen für die „Seedbank“
Anja: Ja. Und für den Rest haben wir jezt erstmal Schokoladen-Osterreier gekauft. Also man kann sich erstmal aussuchen, ob man seine Geschichte gegen eine andere Geschichte tauschen möchte oder gegen ein Ei – und damit ein neues Glas beginnen möchte. Und die Menschen, die in München Geschichten beigesteuert haben, denen hab ich eine Photokopie einer Geschichte versprochen (und am Ende haben sie dann stattdessen eine Postkarte aus dem Postamt von Doohoma bekommen, weil das noch schöner war).
Edith: Ok, also die Eröffnung ist heute abend, Doris?
Doris: Ja, heute abend von 18 bis 20 Uhr. Und ich habe gerade noch über etwas nachgedacht, als Du die Familie Heston erwähnt hast. Mir liegt das Projekt gerade deshalb wirklich am Herzen, weil das Postamt und besonders die Familie Heston schon immer hier waren, wo die Geschichten zusammenkamen, sie kamen eben nur unsichtbar zusammen.
Edith: Ja, ja, ja, ja. Es ist der Ort wo die Menschen sich treffen, und, du weißt schon, alles austauschen, all die täglichen Grüße, alle Neuigkeiten im Dorf, wer krank ist, wem’s grad nicht gut geht, wer Hilfe braucht, wer weggegangen ist.
Doris: Und das muß noch gar nicht das Ende sein. Es geht nicht nur um die Leute hier im Dorf. Von jedes Haus, das man hier in der Gegend sieht, gibt es noch mindestens ein Dutzent Menschen, die irgendwo auf dem Globus leben, und mit denen wir über das Herz verbunden sind.
Edith: Ja genau!
Doris: Und auch deren Neuigkeiten werden hier in der Post ausgetauscht. Der Platz ist also viel größer als er aussieht.
Edith: Ganz genau
Doris: Und wenn man ein bißchen länger darüber nachdenkt wird Doohoma zum Zentrum der Welt.
Edith: Ja, ja ja,
Doris: Wegen allen die hier zusammenkommen – und dabei ist es von außen überhaupt nicht sichtbar. Du schaust es dir von außen an und es sieht aus, als ob da nichts los ist, und dabei ist so viel los hier.
Edith: Ja, es passiert viel. Es passiert so viel, absolut. OK, also ich weiß, daß ich noch viele Menschen habt, denen ihr danken möchtet, daß sie mitgeholfen, das Projekt hinzustellen. Natürlich Ann und ihrem Sohn Joseph. Und ich weiß, daß ihr gesagt habt, daß Michéal Holmes das Schild für euch gemalt hat.
Doris: Ja, er hat uns das wunderbare Schild für die „Seedbank“ gemalt, er ist so ein guter Künstler und er war so glücklich und sofort bereit, das zu machen. Es ist ein wirklich total schönes großes Schild geworden, das jetzt da im Postamt hängt.
Edith: Und was haben Pat Chambers und Kyle gemacht, die Euch auch mit unterstützt haben?
Doris: Also, Pat hat uns geholfen, das Schild aufzuhängen, und er hat uns sehr gerne seinen Lötkolben geliehen, weil wir keines hatten. Und dann hat er auch noch angeboten, daß seine Tochter ein bißchen Musik zur Eröffnung spielen kann.
Edith: Ok, eine Eröffnung ohne Musik geht auch gar nicht …
Doris: … ja, und einer der LED-Stripes – all die Gläser sind nämlich wunderbar beleuchtet mit so LED-stripes – also ein stripe funktionierte nicht und Kyle Holmes kam, und hat versucht es zu löten, und Seamus hat geholfen, das Schild aus dem Pub, wo Michéal es gemalt hatte, hierher zu transportiere …
Edith: Du möchtest also, daß es eine Gemeinschaft wird, die wieder zusammenkommt, um etwas außergewöhnliches miteinander zu tun.
Und die Leute, die heute zur Eröffnung kommen, sollen sie schon eine Geschichte mitbringen?
Anja: Ja, sie können sie schon mitbringen oder eben dort aufschreiben.
Edith: Also es gibt Stifte und Papier, damit sie etwas vor Ort aufschreiben können, sie können aber auch einfach so kommen, einen wunderbaren Abend haben, und später mit der Geschichte zurückkommen. Ist nur eine Geschichte erlaubt oder können sie auch mehrere Gläser nehmen?
Anja: Man kann soviele Geschichten beitragen, wie man möchte – oder auch nach einem Monat nochmal vorbeikommen und eine neue Geschichte tauschen. Und die Geschichten sollten nicht zu lang sein. Ja, ich hoffe, daß die Leute zurückkommen werden.
Edith: Und wie lang ist diese Ausstellung nun in Doohoma geöffnet??
Anja: Wir fangen jetzt damit an.
Edith: Das Projekt beginnt jetzt.
Anja: Und dann wird die Seedbank zu den Öffnungszeiten der Post geöffnet sein.
Edith: Okay
Anja: und ich hoffe, es wird weitergehen, und außerdem werden wir mit dem Projekt auch reisen.
Edith: Einfach toll.
Anja: Auf diese Weise können wir die Geschichten, die wir hier gesammelt haben, in die Welt bringen, und andere zurückbringen. Ich sehe das Ganze wirklich als weltweites Projekt.
Edith: Absolut, absolut. Ich sehe gerade vor meinem inneren Auge ein fantastisches Band, das aus all diesen geschichten erwächst. Weißt Du, dieses Archiv aus Erinnerungen und Geschichten. … Meine Damen, herzlichen Dank daß ihr heute vorbeigekommen seid. Anja, vielen Dank für deine künstlerische Vision, die hoffentlich nicht nur unsere Gemeinde, sondern viele Gemeinden überall auf der Welt bereichern wird. Es sit so eine außergewöhnliche Idee, wißt ihr, ich finde es wundervoll. Und Doohoma kann sich glücklich schätzen, daß ihr da seid. Und wir freuen uns auf die Eröffnung heute abend um 6:00 Uhr im Postamt von Doohoma. Sie geht bis um 8:00 Uhr. Es gibt Musik, es gibt was zu essen und zu trinken, schließlich sind wir in Irland, und es gibt viele Geschichten. Vielen Dank daß ihr hergekommen seid.
Das Interview fand am Morgen der Eröffnung der Seedbank, am 11. März 2016 statt und wurde live gesendet auf Erris FM 90.8.