Doohomas Geschichten – ein Beitrag bei Radio Bremen
775
post-template-default,single,single-post,postid-775,single-format-standard,bridge-core-1.0.4,ajax_fade,page_not_loaded,,qode-theme-ver-18.0.9,qode-theme-bridge,wpb-js-composer js-comp-ver-5.7,vc_responsive

Im Mai 2017 besucht Kerstin Burlage, Radioredakteurin bei Radio Bremen, die „Seedbank of Love & Stories“.
Sie spricht mit Ann und Doris und tauscht eine Geschichte – und machte daraus einen Radiobeitrag, der dann am 2. Juli 2017 um 11:05 Uhr im Nordwestradio (jetzt Bremen 2) in der Themenreihe „Rituale“ gesendet wird!

Mit freundlicher Genehmigung von Radio Bremen dürfen wir hier den Beitrag öffentlich machen – vielen Dank dafür.

 

Wer auf dem Landweg nach Doohoma kommt, fährt eine ganze Weile lang durchs Nirgendwo: grün-bräunliche Moorlandschaft, sanfte Hügel, hier und da duckt sich Gebüsch unter den Windböen, die immer da sind. Auch wenn man es gerade nicht sieht – die Nähe des Meeres kann man spüren. Wäre ich vor hundert Jahren nach Doohoma gekommen, dann nicht über die Straße, weil es noch keine gab: Das Dörfchen am äußersten Zipfel der Halbinsel Doohoma Head wurde vom Wasser aus besiedelt – wie viele Orte in dieser Gegend. Zwischen ihnen gab es früher regen Handel per Boot – mit Walfleisch, Fisch, Torf. Heute stehen hier noch einige Dutzend Häuser, eine katholischen Kirche, zwei Pubs….

…und ein gelbgraues Haus mit einem grünen Schild über der Tür: „Post“ steht darauf.

Drinnen: ein paar alte Regale – denn dies war früher auch ein kleiner Lebensmittel-Laden – eine Kühltruhe mit Eis und ein Postschalter. Hier kaufen die Dorfbewohner ihre Briefmarken und holen ihre Rente ab. Und hier treffe ich Doris Affeldt.
Doris Affeldt stammt aus der Gegend von Hamburg. Vor über dreißig Jahren ist sie nach Doohoma ausgewandert. Sie betreibt hier eine kleine Textilmanufaktur. Außerdem ist sie Malerin – und: Sie betreut in dieser Post ein internationales und interaktives Kunstprojekt, die „Seedbank of love and stories“ der Münchener Künstlerin Anja Uhlig:

Doris: Die hat diesen Ort hier praktisch entdeckt als ganz magischen, besonderen Ort, weil das ganze Dorf sich hier trifft – das ist hier so ein Knotenpunkt. Sind ja nicht alle gleichzeitig hier – aber die ganzen Geschichten der Menschen laufen hier zusammen.

Geschichten, die im Alltag eben so passieren, die Lachen auslösen oder einen mitfühlenden Blick, die andere auf dem Laufenden halten. Das ist hier ein tägliches Ritual – nicht nur für die Menschen, die im Dorf wohnen.

Doris: Für jedes Haus, das Du hier siehst, ist noch mindestens ein Dutzend weitere Leute auf dem ganzen Planeten verteilt, die natürlich auch jeder kennt und deren Geschichten hier auch jeder kennt und deren Geschichten hier auch zusammen kommen.

Denn wie überall aus Irland sind auch von hier viele weggegangen, um auf der anderen Seite des Atlantiks ihr Glück zu finden – vor allem im 19. und zu Beginn des 20.Jahrhunderts. Bis heute ist Irland ein Auswanderungsland. Und so war die kleine Post in Doohoma auch immer ein Verteiler für Geschichten, die per Brief oder später per Telefon ankamen.

Doris: Wer daran denkt, wie viele Menschen über’s Herz mit Doohoma verbunden sind: Sean und Jamie sind in Australien, und der und der ist in Amerika und Valerie ist in Chicago und wir sind ganz schön global hier. Und es kommt hier alles zusammen – in Echtform, nicht virtuell.

Genau da knüpft die Künstlerin Anja Uhlig an mit ihrem Kunstprojekt– für das sie einige der Regale hier benutzen darf. Sie hat sie weiß und rosa gestrichen und mit 144 großen Schraubgläsern bestückt: echt und zum Anfassen. So ist das entstanden, was sie „Saatgutbank der Liebe und Geschichten“ nennt. Zu deren Eröffnung im November 2015 hat sie im irischen Radio erklärt:

Die „Seedbank of Love & Stories“ ist ein Ort, wo Geschichten ausgetauscht werden können. Wer rein kommt, kann ein Glas auswählen und seine Geschichte hinein tun und eine andere, noch ungelesene heraus nehmen.

Und Doris Affeldt ergänzt, während wir im Post office stehen:
Wer weiß, was dann aus dieser Geschichte auf einmal wird? Da kann ein ganzes Theaterstück draus entstehen oder ein Roman. Also, das sind alles auch irgendwo Samen, die irgendwann mal keimen.

Auch ich tausche eine Geschichte: Ich schreibe eine kleine Anekdote auf, die ich am Vortag erlebt habe – und bekomme dafür eine Geschichte von einem, der vor langer Zeit von Doohoma in die USA ausgewandert ist. Er hat sie als Brief hierher geschickt:

We would call the post office from Chicago, U.S.A. and have a short chat with Postmaster Eamon Heston. Eamon would send someone to Pat and Kate Cofferty with the message we were to call back in half an hour. The time would pass, Pat or Kate would arrive at the post office and wait for our call. We would call again and Eamon would transfer the call to the phone box outside the post office. All our news would be exchanged and just hearing their voices made me less homesick. The post office and the Heston family played a major part in creating a relationship between our children and their grandfather. As we pass the post office on our visits we know we are home again in Doohoma……

Er beschreibt, wie er früher in dieser Post angerufen hat, um zu sagen, dass er sich in einer halben Stunde wieder melden wird: Bis dahin hatte der Postmeister die Verwandten einbestellt, so dass sie miteinander sprechen konnten. Alleine, deren Stimme zu hören, habe sein Heimweh gelindert, schreibt er über dieses Ritual. Und ich kennen nun eine neue Geschichte – einen Samen aus der „Seedbank of Love & Stories“, im äußersten Westen Irlands.

Danke, Kerstin für Deine wunderbare Geschichte!